Gebser lebt unstet seit seiner Jugend: Posen, Breslau, Königsberg, das Internat Rossleben und Berlin sind die Städte seiner Kindheit und Jugend. Die dauernde Veränderung der Umgebung und der Schulsituation, der frühe Tod seines Vaters sind mit Gründe dafür, dass Gebser das Gymnasium vor dem Abschluss verlassen und eine Banklehre begonnen hat. In seinem autobiographischen Roman «Die schlafenden Jahre» hat er die schwierigen Voraussetzungen seines Lebens beschreiben. Er arbeitet nach der Banklehre im Buchhandel, gründet später mit einem Freund zusammen in Berlin die Rabenpresse. Als vierundzwanzigjähriger lebt er bereits in Florenz, zwei Jahre später mit einem Freund in Spanien, wo er vor allem im Kreis von Garcia Lorca bis zum Bürgerkrieg lebt. Dann geht die Wanderung weiter nach Paris. Er lebt dort im intellektuellen Umfeld von Picasso. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges flüchtet er in die Schweiz, wo er an verschiedensten Orten zunächst im Süden der Schweiz lebt, besonders in Ascona, wo Jung den Eranos-Kreis begründet hat und wo am Monte Verità eine internationale Gemeinschaft neue Wege des Denkens und neue Lebensformen erprobt. Aus den vielen Stationen seines Lebens wird klar, wie rastlos, unbeheimatet Gebser gelebt hat. Auch in seiner ersten Ehe mit einer Schweizerin findet er eigentlich keine Ruhe. Immerhin lebt er jetzt unter Bedingungen, in denen er damit anfangen kann, sein Hauptwerk «Abendländische Wandlung» und «Ursprung und Gegenwart“. Gebser, der sich, wie er in seinen Jugenderinnerungen schreibt, als Gymnasiast für die Irrfahrten des Odysseus begeistert hat, ist selber ein Mensch, der das Leben als stürmische Meerfahrt erlebt hat.
Gebser hat in seinem Leben immer wieder Anschluss gefunden an Kreise von schöpferischen Menschen. Er ist befreundet und bekannt mit Anthroposophen, hat immer auch Beziehung gehabt zu parapsychologischen Kreisen, ist mit Hans Bender befreundet, der in Freiburg Professor für Parapsychologie ist. Eine tiefe Verbindung hat Gebser mit Lama Govinda, kennt auch Dürkheim und seine Schule in Todtmoos-Rütte. Was aber insgesamt auffällt: Gebser ist alleine geblieben. Er hat sich nirgendwo angeschlossen, er hat ganz bewusst und oft sehr bestimmt Distanz gesucht zu allen Kreisen und Bewegungen. Der Preis dafür war hoch. Nicht eingebettet zu sein in eine Gemeinschaft Gleichgesinnter bedeutet Verzicht auf Geborgenheit. Zur Tragik seines Lebens und Schaffens gehört auf der anderen Seite auch, dass er sich vergeblich darum bemüht hat, seine Arbeiten der akademischen Welt verständlich zu machen. Der fehlende Erfolg dieser Bemühungen ist für ihn enttäuschend. Es sind nur Einzelne aus der akademischen Welt, die sein Werk schätzten. Die Professur in Salzburg, die er aus gesundheitlichen Gründen gar nicht mehr antreten kann, kommt für ihn zu spät. Der Gewinn dieses Einzelgängertums ist aber auch ganz deutlich im Werk Gebsers zu erkennen: Gebser hat seine geistige Eigenständigkeit bewahrt. Seine Sicht ist in ihrer Substanz frei von Rücksichten und Anlehnungen. Damit hat sich Gebser seine schöpferische Kraft bewahrt.
Gebser war einer der ersten, die unsere Zeit als Uebergangsepoche gesehen und darauf aufmerksam gemacht haben, dass das rationale Bewusstsein nicht die Endstation und Krönung
unserer geistigen Entwicklung darstellt. Als 1949 der erste Band von «Ursprung und Gegenwart» herauskam, war Gebser noch sehr allein mit dieser Sicht. Nur ganz vereinzelt gab es Stimmen, die in
ähnliche Richtung wiesen. Im selben Jahr unabhängig von Gebser Erich Neumanns Werk «Ursprungsgeschichte des Bewusstseins» herausgekommen, in dieser Zeit hat auch Jaspers auf die
«Achsenzeit» hingewiesen, die Zeit des Uebergangs vom Mythos zum Logos um 500 v. Chr.. Auch Jung hat in Aufsätzen von «zwei Arten des Denkens» gesprochen. Es gab also bei einzelnen
Denkern und Forschern bereits ein geistiges Klima, das etwas aufgeschlossen war für die Einsicht in die Transformationsfähigkeit des menschlichen Bewusstseins. Sonst aber war – vor allem für die
akademischen Kreise – der Gedanke einer Relativierung unserer Ratio noch ein erschreckend ketzerischer Gedanke. Obwohl es vor allem Kunstschaffende waren, die Gebser rezipiert und umgesetzt
haben, hat sich Gebser bemüht, auch für die akademische Welt akzeptabel zu sein.
In einem privaten, auf Band aufgezeichneten Interview erzählt Gebser, dass er 1932 in Spanien in einer Inspiration den Kern für sein späteres Werk erfahren hat. Er sagt
dort, dass er sich am Nachmittag etwas hingelegt habe und in einem halbwachen Zustand, der einige Zeit gedauert haben muss, plötzlich die ganze Konzeption im Kern klar vor sich sah. «Dann
machte ich mich an die Arbeit....» sagt er in jenem Interview. Ueber zwanzig Jahre geistiger Arbeit waren notwendig, bis er in «Ursprung und Gegenwart» die Summe seiner Bemühungen ziehen
konnte.
Wir haben es bei Jean Gebser nicht mit einem krampfhaft Suchenden, einem angestrengten Idealisten zu tun, sondern mit einem Menschen, der «dem Lauf des Wassers» folgte, der das, was sich fügte
und ergab, bedingungslos lebte. Das zufällig sich Ergebende, das sinnvoll Gefügte war das Lebenselement Jean Gebsers. Dieser unsichtbaren Logik des Geschehens hat er immer vertraut, sein Leben
gründete in dem, was er das Urvertrauen nennt.
Gebser schreibt in einem Gedicht :